Donnerstag, 31. Januar 2013

Eine Fußbank und Gänseblümchen

..... Zum Gedenken an eine liebenswerte und lebensfrohe alte Dame ....

Ich bin gern in meinem Garten und erhole mich dort. Bequem sitzen kann ich vorzugsweise, wenn ich meine Füße etwas höher lagere. Zwangsläufig brauche ich dann „Frau F...“. Das ist eine uralte handgearbeitete mit mittelbraunem Kunstleder bezogene Ritsche – auch Fußbank genannt. Sie ist sehr standhaft, hat die richtige Höhe und wackelt auch nicht. Es mutet meist eigenwillig an, wenn ich meinen Mann bitte, mal „Frau F...“ zu holen, aber alles auf dieser Welt hat einen Grund. Und das kam so: Ich habe sie, man höre und staune, aus Frau Fs... Nachlass erhalten. Und sie erhielt sie wiederum aus dem Nachlass ihres Vaters, und dieser hatte sie selbst gefertigt. Aber wer war Frau F...? Und warum heißt meine Fußbank so? Na gut, ich werde das Geheimnis lüften…
Tja, und wer war nun diese ominöse Frau?
Frau F... lernte ich 1996 kennen. Sie war eine meiner ersten Kundinnen in meiner selbständigen Tätigkeit als Haushaltshilfe. Ich habe sie und ihre kleine puppenstubenartige immer blitzsaubere Wohnung viele Jahre liebevoll betreut. Sie hatte in Erfurt keine Verwandten und freute sich riesig über meine Anzeige in der Zeitung. Ein Telefonat – und ich war bei ihr. Sie lud mich oft zum Kaffeetrinken oder Mittagessen ein, wenn ich gerade bei ihr arbeitete. Wir hatten bald ein sehr herzliches Verhältnis. Sie schüttete mir ihr Herz aus und ich erzählte ihr von meinem Leben, während ich Staub wischte, saugte, Gardinen wechselte und das Bad wienerte. Geheimnisse konnte ich nicht vor ihr haben, sie merkte sofort, wenn ich mal nicht gut drauf war und hinterfragte sanft meine Beweggründe. Auch ich wusste schon bei der Begrüßung an der Tür, welches Zipperlein sie wieder ereilt hatte. Sie konnte einfach keine Krankheit auslassen. Das Alter und die vielen Krankheiten machten ihr schwer zu schaffen, aber sie ließ sich nicht ärgern und schluckte geduldig alles, nicht nur ihre Pillen. Ihr Leben war nicht immer leicht gewesen: Der geliebte Mann im Krieg gefallen, das Kind – eine Tochter – allein aufgezogen, viel gearbeitet, viel erlebt. Der schwerste Schlag war für sie der Tod ihrer Tochter. Der Krebs hat sie im blühenden Alter von nur 20 Jahren aus dem gerade beginnenden Leben gerissen. Das hat bei ihr eine schwerheilbare Wunde und tiefe Trauer bis hin zu ihrem Tod hinterlassen. Frau F... hatte nur eine einzige Verwandte mit Mann und Tochter. Leider wohnten sie für Frau F... viel zu weit weg irgendwo im Thüringer Wald, wo die Leute so das „R“ so rollen beim Sprechen. Manchmal kam Besuch aus dem Thüringer Wald. Und sie telefonierte oft mit ihren Lieben. Sie half und unterstützte sie, wo sie nur konnte. Sie waren ja ihre einzigen Verwandten. So floss manche Mark in das Haus im Thüringer Wald. Aber Frau F... gab gern und freute sich, wenn sie helfen konnte. Es wäre denn auch nicht verwunderlich gewesen, stellt sie einmal fest, wenn bei dem Befehl an das Haus, alles heraus zu treten, was Frau F... finanziert hat, das Haus in sich zusammengefallen wäre. Ab und an besuchte sie ihre Angehörigen, dazu nutzte sie stets das Taxi und nahm meist auch ihren Wellensittich mit auf die Reise in den Thüringer Wald, wo er auf einen anderen Artgenossen stieß. Somit hatten beide Urlaub Frau F... und auch ihr Piepmatz.
Frau F... war eine trotz ihres Alters eine sehr selbstbewusste, energische und selbstbestimmende Dame. Sie war zutraulich wie ein Kätzchen, konnte aber auch ihre Krallen ausfahren und kämpfen. Sie reichte mir von der Größe her nur bis zur Schulter und hatte eine hagere Figur. Ihr faltiges knochiges Gesicht umspielten hellgraue Kaltwelle-Löckchen. Ihre hellen Augen schauten wachsam, freundlich und aufgeschlossen . Die Hände waren durch Arthrose in den Fingergelenken etwas gekrümmt und ungelenk. Sie kochte selbst und ging auch allein einkaufen. Sie ist für mich wie meine eigene Oma gewesen – liebevoll, freundlich, verständnisvoll. Sie war stolz darauf, dass sie sich so ohne Probleme eine Hilfe in Haushalt und eine Kameradin zugleich leisten konnte. Sie hatte gespart für solche Fälle. In ihrer Wohnung war alles auf ihre Größe ausgerichtet. So passierte es mir oft, dass ich mir den Kopf an der Lampe im Tiffani-Stil über der modernen braun gemusterten Sitzecke anstieß. Die Utensilien zum Kochen in der Küche waren auch alle klein, auf ihrer Höhe und auf einen Ein-Personen-Haushalt ausgerichtet. Eben alles puppenstubenmäßig. Auch die Essensportionen – alles Mini.
Sie liebte Wellensittiche, die sie „Bubbelchen“ nannte und denen sie das Sprechen beibrachte. Die Viecher konnten einzigartig die Stimme ihrer Besitzerin imitieren, Worte und kleine Sätze formulieren. Es passierte schon mal, dass ich mich verdutzt umdrehte, weil ich dachte, Frau F... stände hinter mir und spräche auf mich ein.
Sie war auch ein moderner Mensch. Die Wohnung bestückte sie nach notwendigem Umzug mit neuen modernen Möbeln und Gardinen. Alles musste sauber und chic sein.
Ein Mal besuchte mich Frau F... in unserem Garten. Sie freute sich riesig. Das Wetter stimmte, es gab Kaffee und Kuchen. Wir saßen lange, redeten und schauten in den Frühlingstag. Auf einem Teil unserer Wiese wuchsen unzählige Gänseblümchen – ein Meer aus tausend weißen Blütenköpfen. Frau F... mochte Gänseblümchen über alles. Und sie wünschte sich mal ein Gänseblümchen zu sein – so nach ihrem Tode.
Nun weilt Frau F... schon acht Jahre nicht mehr auf dieser Welt. Ich habe sie bis zu ihrem Tode begleitet. Sie hat mir vertraut und mir vieles aus ihrem Leben erzählt. Manches werde ich für immer in mir verschließen, denn nicht alles ist unbedingt auszuplaudern. Aber Einiges habe ich für sie hier aufgeschrieben und so versucht, ihr ein Denkmal zu setzen.
So heißt denn meine Fußbank auf die ich meine Füße setze „Frau F...“ und die Gänseblümchen in meinem Garten beinhalten auch ein Stück von ihr.

PS: Den richtigen Namen von Frau F... hier zu nennen, wäre respektlos. Sie hat aber wirklich gelebt und ich bin glücklich und stolz darauf, daß ich die Möglichkeit hatte, sie auf dem letzten Stück ihres insgesamt sehr bewegten Lebensweges begleiten zu dürfen.

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